- Megalithtempel in Malta
- Megalithtempel in MaltaDie Wurzeln der Kulttraditionen, denen die maltesischen Großsteintempel ihre Entstehung verdanken, reichen zurück bis an die Anfänge der menschlichen Besiedlung Maltas und Gozos im späten 6. Jahrtausend v. Chr. Auf den uralten Kultplätzen (etwa Skorba) wurde zwar wie in allen anderen Mittelmeerländern schon früh mit Feldsteinen und luftgetrockneten Lehmziegeln gebaut, doch erst seit der Geburt der Tempelkultur vielleicht an der Wende vom 4. zum 3. Jahrtausend v. Chr. begannen die verschiedenen maltesischen Siedlungsgemeinschaften, ihre Heiligtümer monumental auszubauen. Während der tausendjährigen Geschichte der Tempelkultur blieben Tempel und Tempelkomplexe die größten Baustellen. Dort führten Baumeister aus den lokalen Priesterkasten Regie, nahmen Planungen vor, entwickelten Entwürfe, stellten handliche Architekturmodelle aus Kalkstein oder Ton her und koordinierten die eigentlichen Bauarbeiten, die von der ortsansässigen Bevölkerung ausgeführt wurden. So schufen die Baumeister einen völlig unverwechselbaren Baustil als Ausdruck ihres spezifisch maltesischen Kosmos, der aus der vorangegangenen Jungsteinzeitkultur Maltas in Verbindung mit äußeren Einflüssen hervorgegangen war. Die megalithische Bautechnik dürfte sich spontan entwickelt haben, Nischengliederung und Dreiteiligkeit des Baukörpers sind der ägyptischen Tempelbaukunst verwandt, während kurvierte Grundrisstypen ältestem mittelmeerischen Formempfinden entsprechen. Im 3. Jahrtausend kam es im Laufe der letzten Phase der Tempelkultur (Tarxienphase) zu einer Übervölkerung, und mit dem gleichzeitigen Raubbau im Naturhaushalt ging eine Verkarstung der kleinen Inseln einher. Der daraus folgende Mangel zog eine rasche Bevölkerungsdezimierung nach sich, sodass weite Landstriche verödeten. Schließlich bereitete der Zustrom von neuen Siedlern im frühen 2. Jahrtausend v. Chr. der Tempelkultur ein sang- und klangloses Ende. Ab dieser Zeit wurden Tempel zeitweilig für andere Zwecke genutzt, verfielen und gerieten - wie auch die dreigeschossige Felsgräber- und Kultanlage im Hypogäum von Ħal Saflieni - in Vergessenheit.Von den heute bekannten Kultplätzen geben die Tempel von Ġgantija, Ta' Ħaġrat, Tarxien, Ħaġar Qim und Mnajdra die besten Einblicke in die ebenso fremd- wie einzigartige Baukunst. Dort finden sich auch die eindrucksvollsten Vorplätze, hinter denen sich die Tempelfassaden ehemals wie geschwungene »Bühnen«gebäude erhoben. Im Gegensatz zur abendländischen Konstruktionsweise steht der Sockel jedoch fundamentlos auf Felsgraten oder auf Flachsteinpackungen, die teilweise den Rand von eingetieften Bodenmulden säumen. Diese im monumentalen Steinbau äußerst unpraktische Technik stellt letztlich ein Relikt älterer Zeit dar, als die Tempel noch aus Lehmziegeln und Holz bestanden. Meist wurden in die Bodenmulden über Splitt Böden aus zementartigem und sehr beständigem Torba (verfestigter Kalksteingrus mit kleinsteinigem Material) eingezogen, dem sogar einzelne Brandopferherde nichts anhaben konnten. Die Bauwerke selbst, die sich weit zum Himmel öffnen, erscheinen dank ihrer bogenförmigen Gestaltung und dank der schwellenden Werksteinoberflächen von einer seltsam körperhaften Schönheit, die sich in Mnajdra und in den Architekturdekorationen des Hypogäum zu feinstem sinnlichen Reiz steigert.Der nach harmonischen Prinzipien geplante Baukörper ist dreiteilig, er setzt sich aus den beiden voneinander unabhängigen Mauerschalen des hufeisenförmigen Außenbaus beziehungsweise der Raumbuchten im Innenbau zusammen. Der Kernbereich dazwischen wurde aus statischen Gründen mit Steinen und Erde verfüllt, darin blieben oftmals Nischen oder kleine Kammern ausgespart, die nicht selten mit den Haupträumen durch Kommunikationsöffnungen verbunden sind. Außen verleiht der Versatz von leicht einwärts geneigten Hochkantplatten und in den Oberbau aufragenden Blöcken dem Mantel eine Nischengliederung. Solch tonnenschwere Werksteine wurden über schiefe Erdrampen aufgerichtet und mit Holzstangen in ihre Endpositionen gehebelt, wie sich anhand der Stemmlöcher vermuten lässt. Zum Vorplatz hin bilden dagegen sechs lotrechte Platten in charakteristischem Werksteinrhythmus beidseitig des Torbaus eine glatte Fassade, bisweilen mit seitlichen Nischenanbauten. Unweit der äußeren Schwelle, unter der hier und da Bauopfer ans Tageslicht kamen, befindet sich im Boden oft ein übergroßes Seilloch (einfache Durchbohrung des Steins zum Durchziehen von Seilen), möglicherweise zum Festbinden von Opfertieren. Vom Torbau zieht sich ein niederes Widerlagersims rund um den Außenbau, das die Sockelbasis abstützt und zugleich die Nahtstellen zum gewachsenen Grund kaschiert. Opferlöcher, die mit ebensolchen im Steinboden korrespondieren können, bezeugen, dass die meisten Widerlager auch im Kultus Aufgaben erfüllten. Der mit Platten ausgelegte Torbau war alleinige Öffnung des Außenbaus und verschließbar, wie aus den zahlreichen Seil- und Riegellöchern hervorgeht. Er ist im Grund- wie im Aufriss Angelpunkt der gesamten Tempelkonstruktion, sein Deckstein zeigt die Sockelkrone an, darüber stieg der Oberbau ursprünglich bis zur doppelten Torbauhöhe hinauf.Die Bauachse, die den Tempel in zwei ungefähr spiegelgleiche Hälften teilt, bildet die einzige gerade geführte (Konstruktions-)Linie: Innen mündet der düstere Korridor mit einem Innenportal in den lichten, gepflasterten Binnenhof - in das Herzstück des Quertraktes, der sich der Bauachse bogenförmig unterordnet; daran schließen sich links und rechts weit geöffnete oder durch halbhohe Barrieren abgetrennte Raumbuchten (»Apsiden«) mit ihren geneigten Hochkantplatten an (in Ta' Ħaġrat und Ġgantija unregelmäßiges, polygonales Mauerwerk). Völlig abgeschlossene Räume sind dagegen durch ausgeschnittene Türsteine oder durch Trilithe (Dreisteinkonstruktionen) zu betreten. Dieser lang gestreckte Durchgangskomplex endet bei den Abschlussplatten schließlich vor dem wohl wichtigsten Kultraum, dem Kopf. Folgen zwei Quertrakte hintereinander, so sind sie durch eine vorspringende Türanlage mit seitlichen Nischenanbauten verbunden. Hier im Innenbau vollendeten in kunstvoller Kurvierung längliche Quader den Oberbau auf gleicher Höhe wie den Außenbau. Diese beiden Mauerkronen wurden höchstwahrscheinlich gemeinsam von großen Steinplatten überdeckt, damit waren die lockeren Füllungen bzw. die Kammern im Kernbereich hinreichend geschützt. Erhaltene Verputzfragmente zeigen, dass die Raumbuchten trotz ihrer Öffnung zum freien Himmel ganz oder zum Teil mit leuchtend roten Ockerdekorationen verziert sein konnten, wie es im Hypogäum der Fall ist oder bei den Steinreliefs von Tarxien mit ihren rankenartigen Spiralmustern oder figürlichen Motiven.Vor allem der Innenbau wird vielfach durch monumentale oder kleinere Nischen gegliedert, in denen ein- bis zweigeschossige Altartische eingelassen sind. Ihre vorspringenden Bauteile verfügen an den Stirnseiten über einzelne Widerlager. Die mehrteiligen, raumbuchtfüllenden Nischenkonstruktionen mit ihren reich verzierten Barrieren zeigen, dass die Kultausübungen innen wie außen nahezu sämtliche Bauteile beanspruchten. In der inneren Höhlung eines Widerlagers im Westtempel von Tarxien lagen Reste von Tieropfern und ein Opfermesser aus Flintstein verborgen: Gemeinsam mit dem zugehörigen Trilithschrein stellt dieser Altar den schönsten kultischen Originalbefund aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. dar. Große wie kleine einsteinige Altäre, Trilithtischchen auf spulenförmigen Ständern, Regale und monumentale Keramik wie Steingefäße - sie alle bestätigen uns, dass ein überaus reger Kultbetrieb herrschte. Obwohl die erhaltenen Kultinventare meist noch ihrer Erklärungen harren, so erschließen uns doch die üppigen Pflanzendekorationen und die fast allgegenwärtigen Tierbilder auf Keramik und Bauplastik eine Gedankenwelt, die umfassend mit der Fruchtbarkeit sämtlicher belebter Natur verbunden war. Auch die verehrte Gottheit, der Brand-, Tier- und Trankopfer dargebracht wurden, existierte in der Vorstellung der Kultgemeinde als übermächtiges Menschenwesen von überquellender Körperfülle, sie ist in ihrer Monstrosität kaum von den Darstellungen bestimmter Kultbeamte oder Priester zu trennen.Da in den frühzeitlichen Lebensabläufen auch Alltägliches »heilig« war, verwalteten Priester und Tempelbaumeister nicht nur den Kultus selbst, sondern zugleich das gesamte soziale Ordnungsgefüge einer Siedlungsgemeinschaft. Unter ihrer Obhut wurden beispielsweise Gerätschaften angefertigt und in kleineren Ovalbauten (Skorba) verwahrt. Die größeren Steingebäude nahe bei den Tempeln (Ħaġar Qim, Mnajdra) standen den Kultbeamten wohl ebenfalls für Vorratshaltung, »Archivierung« oder als Wohnräume zur Verfügung. Selbst wenn, abgesehen von der Spende persönlicher Votivgaben (etwa Gegenstände, Statuetten oder Darstellungen von erkrankten Gliedmaßen aus Stein, Ton oder Bein), die eigentlichen Kultausübungen und Riten nicht rekonstruierbar sind - eines ist gewiss: Die gewaltigen Großsteinbauten waren mehr als nur »Tempel«, denn sie galten den jeweiligen Siedlungsgemeinschaften Maltas und Gozos als Heiligtümer wie gleichermaßen als soziale und geistige Zentren, wo Überlieferungen (vielleicht, wenn auch Belege fehlen, wie in anderen frühen Mittelmeerkulturen sogar schriftlich) bewahrt und von wo aus gesellschaftliche Organisationsformen aufrechterhalten wurden.Dr. Joachim von Freeden
Universal-Lexikon. 2012.